DAMIT ES NICHT VERLOREN
GEHT...
Geschichte von
Zeitzeugen 1938
1938 war ich 12 Jahre alt. Da ich gern
zeichne war ich auch in der Schule mit dem Zeichnen des
Kruckenkreuzes, einer der ersten fertig. Wir sollten diese
vernichten und mit einer Zeichnung des Hackenkreuzes beginnen.
Darüber war ich sehr böse, weil ich auf meine gelungenen
Arbeiten immer ein wenig stolz war. Es war ja auch so schön
rot – weiß – rot bemalt. Gut erinnern kann ich mich auf den 1.
Mai. An diesen war Schulfrei. Es war immer so und auch heute
noch ein alter Brauch, dass die Wolfahrtsbrunner 2 km zu
unserer Kirche herbeteten, hier die hl. Messe mitfeierten und
wir anschließend diese Walfahrt zurück begleiteten. Es hat an
diesem Tag etwas geschneit. Beim Haus Lasselsberger in
Niederndorf ging am Straßenrand das Strohdach bis auf Kniehöhe
herunter, auch die Fenster waren damals sehr klein und mit
massiven Fensterkreuz versehen. Aber nachher mussten wir in
die Schule kommen und die Hitlerrede zum 1. Mai anhören. Der
Empfang war mit dem heutigen nicht zu vergleichen. Aber
dennoch ein großes Erlebnis weil ich vorher noch nie einen
Radio gehört hatte. Außerhalb der Orte gab es damals noch
keinen elektrischen Strom, deshalb auch kaum ein Radio, dafür
aber einen mit Kurbel aufziehbaren Gramophon. Für uns Kinder
war es ganz sicher ein unvergessliches Ereignis als beim
Einmarsch der Deutschen nach Österreich, sich an einen
sonnigen Tag, der Himmel fast ohne zu übertreiben,
verdunkelte. Von Horizont bis Horizont war das Firmament in
Richtung Wien mit Fliegern bedeckt. Den ganzen Tag, immer
wieder und immer wieder.
Übrigens hatte man vorher Äroplan gesagt,
wenn man schon das Glück hatte, so ein Fluggerät überhaupt zu
sehen. Tage danach bewegten sich motorisierte Einheiten mit
Lastautos, voll beladen mit Soldaten auf der Bundesstraße 1 in
deren Nähe ich daheim war, auch in Richtung Wien unserer
Bundeshauptstadt. Ein Fahrzeug hinter dem anderen, ohne Ende
den ganzen Tag bis in die Nacht hinein. Dass auch Kanonen
angehängt waren fiel uns Kindern nicht auf. Vielmehr aber,
dass die Soldaten bei den Mahlzeitrasten die Fahrzeuge die
ganze Straßenbreite, ganz knapp nebeneinander und
hintereinander zusammenrückten und uns Kindern oft Knäckebrot
gaben, so etwas kannten wir doch nicht. Schön anzusehen war es
wenn Abends oder Nacht, wenn ich mit Vater von der Arbeit
heimging, von einer Anhöhe, auf die Bundesstraße sehen
konnten. Es war wie ein Fackelzug mit Abständen. Einer nach
dem anderen. Es dauerte Tage oder gar Wochen, die Abstände
wurden dann immer größer. In Österreich gab es so viele
Arbeitslose und Bettler aber auch Verbrecher und Zigeuner mit
Pferdewagen mit runden Plachendach in dem sie auch wohnten.
Aber auch Bauchladenverkäufer (Posinaken), diese verkauften,
Schuhbänder, Hosenträger, Kämme und ähnliches Kleinkram. Wenn
ein Reindl (Schüssel) ein Loch hatte, war er es, der dieses
mit einer Niete verschloss, oder zulötete. War ein großer Topf
am Boden sehr schlecht, wurde ein neuer aus Weißblech
aufgebertelt. Aus Weißblech wurde so manches Geschirr gemacht.
Zum Beispiel ein Kartoffeldunster. So ein Topf hatte einen
durchlöcherten Einsatz und einen gutschließenden Deckel.
Dieser dürfte der Vorläufer unseres Kelo – Mat gewesen sein.
Alles von diesem Wandersmann gemacht oder mitgebracht. Ich
schaute gern zu.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie er
einige Lagen Zeitungspapier oder Brot solange kaute bis ein
richtiger Kitt entstand und dann als Dichtungsmittel zum Boden
aufberteln verwendete. Ab und zu kamen auch Scherenschleifer,
Schirmmacher, Reitermacher oder Korbflechter vorbei. Nicht
alle hatten einen Pferdewagen mit Dach. Manche fuhren mit
einen kleinen Wagerl, das sie selbst zogen oder einen Hund
eingespannt hatten. Diese Leute hielten sich meist in der Au
oder unter der Brücke auf. Bei Schlechtwetter oder im Winter
erbettelten sie sich bei den Bauern ein Platzerl im Stall. Zur
Abwechslung war auch manchmal ein armer Familienvater dabei
der ein Talent zum basteln hatte. Dieser verkaufte selbst
gemachte Kochlöffeln oder Kinderspielzeug. Meine Mutter kaufte
mir einmal einen Radfahrer. Es war ein hölzernes Rädchen, ca.
1 m langes Holzstangerl auf dem ein ebenso aus Holz
geschnitzter Radfahrer saß, dessen Beine sich bei der
Umdrehung des Rädchens mitbewegten. Denkt man sich ein wenig
in diesem damaligen österreichischen Notstand hinein, so kann
man vielleicht auch verstehen, dass der Einmarsch so
Widerstandslos vor sich ging, und heute niemand leugnen
braucht, dass die vielen Leute und Kinder, besonders in
Ortschaften die Hand zum Heil – Hitler Gruß erhoben und Sieg
– Heil riefen. Dieser Gruß wurde auch verpflichtend. Dazu ein
Witz aus dieser Zeit:
Ein Fußgänger trat in einen Hundekot und
trat immer mehr hinein mit dem Worten!
„Tritt ein Deutscher wo hinein, soll ein
Gruß Heil – Hitler sein“. In den Orten wurde auch bald an
Kinderreiche Familien Brot verteilt. Es sah anfangs alles
rosig aus, so dass es bei der folgenden Wahl nur ein 100% Ja
geben konnte. Es gab ja auch keine andere Möglichkeit.
Arbeit gab es wieder genug. Dazu einen
Witz aus dieser Zeit:
„Lieber Schuschnik komm bald wieder, mir
wird die Arbeit schon zuwider“.
1939 wurde mit dem Bau der Reichsautobahn
begonnen. Viele Leute waren beschäftigt, die Baumaschinen wie
heute gab es noch nicht. Da aber auch 1939 der Krieg begann
wurde 1941 der Straßenbau eingestellt. Auf der Trasse der
Autobahn wurden vor dem Abheben der Humosschichte einmal
soviel Schafe vorbei getrieben, wie ich sie vorher nie in
meinem Leben gesehen hatte. Die Lebensmittelkarten wurden
eingeführt. Die Rauchwaren wurden rationiert. Für Kleidung,
Fahrradreifen und sonstige Bedarfsartikel wurden Bezugsscheine
ausgegeben. Die Begeisterung zum Heil – Hitler Gruß ließ von
Jahr zu Jahr nach. Stattdessen hörte man das Wort Kat – zet
immer häufiger. Im Alter von 16 Jahren war ich neben der
Donauuferbahn mit meinem Beruf beschäftigt und konnte in Grein
so Zeuge sein, wie man jeden Freitag zwei vergitterte
Viehwaggons und jeden Dienstag mindestens einen mit Menschen
voll gestopft in Richtung Mauthausen vorbeiführte. Von der
Witwe eines Bewachers erfuhr ich erst gestern, dass diese mit
den Händen nach oben so angebunden wurden, dass sie gerade
noch mit den Vorfüßen den Boden berühren konnten. Mir taten
diese Leute leid, vor allem dann, wenn man darunter auch
hübsche Mädchen erkennen konnte. Von dieser Baustelle wurde
ich abgezogen und auf eine andere Wehrmachtswichtigste
Baustelle gebracht. Es war ein Drahtseilbahnbau zur Förderung
von Bauxit. Das ein weinrotes Gestein, aus dem das Aluminium
für den Flugzeugbau gewonnen wurde. Von dort aus wurde ich,
obwohl auf einem Ohr taub zum Kriegsdienst in die slowakisch –
ungarische Grenze eingezogen. Bis 5. Mai 1945 waren wir in der
Nähe Hollabrunn im Einsatz, aber dann begann die große Wende.
Alles was Beine hatte, bewegte sich durchs Wald – u.
Mühlviertel in Richtung Westen. Alle Straßen und Wege waren
voll. In der Nähe Freistadt sahen wir die ersten weißen Fahnen
auf den Dächern. Bald danach auch die ersten amerikanischen
Soldaten, die bei Gelegenheit die Armbanduhr einigen herunter
rissen. Bald wurden wir auf einer Wiese zu Tausenden zusammen
getrieben und mit Panzern bewacht. Täglich einmal einen
Schöpfer Wassersuppe, dazu 25 Mann einen Wecken Brot geteilt
verpflegt. Nach 6 Wochen der Gewichtsreduzierung, wurden wir
an die tschechische Grenze gebracht und den Russen übergeben.
Die Abmagerungskur wurde fortgesetzt, jedoch ein wenig
gebessert und nach tagelangen Marsch, nach vorheriger
Entlausung, Bad und vollständige Entfernung aller Körperhaare,
einer Baracke zugeteilt. Die gefangenen Franzosen zogen aus
und wir ein. 6 Mann in einem Bett. 2 im Bett, 2 unterm Bett
und 2 im Oberbett. Auf diese Art lagen 1200 Mann in einer
Baracke und diese waren sehr viele. Einmal war ein Typhusfall
in unserer Baracke. Das Lager war mit 3x Stacheldraht umzäunt
jede Baracke mit 1x Stacheldraht getrennt, aber während der
Quarantäne mit einem nochmaligen Drahtgeflecht getrennt. Zu
meinem 19. Geburtstag wurde diese wieder aufgehoben. Einmal
durfte ich beim Essentragen in die Baracke der gefangenen
Offiziere helfen. Diese hatten einfache Betten, weißen Bezug
und erhielten ein Gulasch. Von dort fuhren wir in vergitterten
Viehwaggons in Richtung Osten. In Konstanza am Schwarzen Meer
landeten wir auf einer Wiese. Bei Tag so heiß, in der Nacht so
kalt. Wehe uns wäre der Krieg nicht im Mai, sondern im Herbst
zu Ende gegangen, wir wären nicht viel besser drangewesen als
Napoleon in Moskau. Immer wieder wurden Ärzte und Chemiker
aussortiert. Einen Tag vor der Einschiffung, es war 17. August
1945 ließ uns vormittags ein Offizier antreten. Er verkündete
uns in einem reinem Deutsch:
„Es freut mich insbesondere dass gerade
ich euch die Nachricht übermitteln darf, Österreicher, Ungarn
und Volksdeutsche sind ab heute von der Gefangenschaft
befreit“. Es hörte sich an wie ein Märchen. Doch am Nachmittag
wurden wir schon aus dem Lager entlassen. Eine Woche später,
fuhren wir natürlich wieder in Viehwaggons mit offenen Türen
heim. 40 Mann drinnen, 20 Mann am dach. So landeten wir am 3.
September 1945 am Wiener Südbahnhof. Nach 2 tägiger Kontrolle
wurden wir in Freiheit entlassen. Mit einem leeren
französischen Lastzug erreichten wir unseren Heimatort. Meines
Erachtens sollte dies ein Wahlzuckerl für die bevorstehende
Wahl im Herbst gewesen sein. Ich wog 45 kg. Mein Bruder wurde
im Lazarett gefangen und kam 2 Wochen früher heim. Unsere
Mutter fütterte uns mit Stohsuppe (Milch, Mehl, etwas Sauer
Rahm, Wasser und Salz) und Kartoffel wieder heraus.Ich war
Maurer, da gab es Arbeit genug. Für Hilfsarbeiter war es
schwieriger, die zogen in die amerikanisch besetzte Zone. Dort
wurde mehr gebaut. N.Ö. war von Russen besetzt. Da war es
wesentlich anders.
Anfangs gab es nur Abbruchziegel, Zement
nur im Schleichhandel, Kalk minderer Qualität, ein schwarzes
Abfallprodukt eines Karbidswerkes. Es wurde halt mit den
gegebenen Mitteln gebaut. Wir mauerten Stallungen mit
Bruchsteinen und statt Stürze wurden Bögen gespannt, Decken
aus Holz. Meine Spareinlage wurde bis auf einen Schilling
gestrichen. Jeden Winter war ich Saisonbedingt arbeitslos,
ebenso die Dachdecker und Zimmerleute. Unterstützung gab es
die ersten Jahre noch keine. Dafür mussten wir für die
Gemeinde Schneeschaufeln, ansonsten kein Anspruch auf
Lebensmittelkarten, dass der Milchwagen und der Arzt die 6 km
von Pöchlarn, damals noch Schotterstraße, durch die
Schneewehen durchkommen konnten. Nur mit Pferdewagen oder
Fahrrad, und da musste man von Glück reden, weil die Russen,
oder im Namen der Russen viel geplündert wurde. Ich
beschäftigte mich im Winter mit Korbflechten. Das brachte
schon auch was ein. Für 10 Wäschekörbe erhielt ich einmal
einen UNRA Anzug, er war aus Brenneselstoff. Der
Schleichhandel blühte. Leder hatte ich mir mit Zigaretten
eingetauscht um beim Schuster Stiefeln oder Schuhdoppler
machen zu lassen. Auch er war ein Raucher und ich nicht. Fürs
Geld gab es im Krieg fast nichts und danach, auch nichts. Es
gab Leute die sich bereicherten, denn mit viel Geld gab es
auch was. Einigemal gabs eine Geldentwertung. Die keines
hatten konnte nichts passieren, denen die viel hatten, blieb
immer noch mehr. Nach dem Staatsvertrag und Abzug der
Besatzungsmächte kann man sagen, dass Österreich wieder zu
Leben begann. Die ganze Nachkriegszeit, teile ich in 3
Etappen. Zuerst, Kampf ums Material, während der Hochkonjuktur,
Kampf um brauchbare Leute und jetzt, Kampf um Arbeit. So
betrachtet, ist das ganze Leben ein Kampf. Rückblickend möchte
ich sagen, dass nicht die östlichen Siegermächte, sondern
Österreich den Krieg gewonnen hat. Unsere Neutralität dürfen
wir als Wunder betrachten. Möge Gott es lange noch so
erhalten.
©
by
Anton Kriebert & Franz Sonnleitner
jegliches
kopieren oder Verlinken der
Texte oder Bilder nur mit Genehmigung des Autors
zurück zur Homepage
|